Neujahr 2020 im Jingshan-Tempel
Drei Jahre in Folge—2018, 2019, 2020—bin ich an Neujahr in den Jingshan-Tempel gegangen. Kein Räucherstäbchen, kein Verbeugen, nur ein ritueller Brauch.
Jedes Jahr kommen mehr Menschen. Letztes Jahr konnte man noch bis zum Parkplatz oben fahren; dieses Jahr stoppte die Polizei die Autos im Dorf „Tee zuerst“, und wir nahmen den Shuttlebus. Zwanzig Minuten Serpentinen mit einem furchtlosen Fahrer ließen zwei Fahrgäste sich übergeben.
Der Holzsteg vor dem Tempel, drei Jahre im Bau, ist endlich eröffnet. Er führt direkt vom Parkplatz zur Stele des Kaisers Xiaozong mit der Aufschrift „Jingshan Xing Sheng Wan Shou Chan-Tempel“. Fast niemand bleibt stehen—alle eilen hinein. Hätte Abt Zonggao nicht Qin Hui getrotzt, Yue Fei und Han Shizhong unterstützt und wäre nicht vom Kaiser Xiaozong gerufen worden, der die acht Zeichen „径山兴圣万寿禅寺“ hinterließ, gäbe es den heutigen Ansturm kaum. Die Verbindung mancher Pekinger Führungskräfte zu Jingshan ist eine andere Geschichte.
Seit 2009 wird der Tempel ständig renoviert und erweitert. Zum Neujahr 2020 kamen weitere Baustellen hinzu. Das einst großzügige Gelände wirkt nun gedrängt; gespendete alte Bäume und edle Steine haben einen schlichten Zen-Tempel im Tang-Stil in schillerndes Gewand gesteckt. Offenbar wollen die Betreiber den Ruhm von „3.000 Schülern, wichtigster Zen-Tempel Südostchinas“ zurückholen. Doch der Geschmack der Entwickler—und ihr Verständnis von Zen—ist schwach. Die Ahnen hinterließen einen Ort mit kaiserlichen Verbindungen, Zen-Rang und stiller Umgebung; er wird vergeudet. Die Reliquien vieler Meister können das kaum eindämmen.
Pilger kommen, um Räucherwerk zu entzünden und um Reichtum und Glück zu bitten; die Entwickler verdienen gut. Ein Ort der stillen Praxis geht verloren. Menschenströme ziehen vorbei, doch wie viele befassen sich wirklich mit Zen-Praxis, der Stellung des Jingshan in der Linji-Linie oder dem Denken von Faqin, Jian Zong, Zonggao, Yuan Cong und Wuzhun Shifan? Nach Linji gilt: „Prajna im Kern; die Leere umfasst die Form; Form und Leere sind verflochten.“ Praxis heißt, Buddha oder Patriarchen nicht außerhalb zu suchen; der Alltag ist bereits der Weg.
Veröffentlicht am: 3. Jan. 2020 · Geändert am: 4. Dez. 2025