Im Moment leben – oder als mein wahres Selbst?

iDiMi-Im Moment leben – oder als mein wahres Selbst?

Der in Shanghai „netzberühmt“ gewordene Obdachlose Shen Wei sagt, er sei inzwischen so beschäftigt, dass kaum Zeit zum Gesichtwaschen bleibe. Dem „Ur‑Anstifter“ — dem Bäcker, der das Video hochlud — würde er am liebsten die Leviten lesen, weil dieser sein Leben durcheinandergebracht habe.

Als junger Mann beugte er sich dem Vater und wählte die Prüfung/Audit‑Fachrichtung, die ihn nicht interessierte — ein Lebensbedauern. Später entschied er sich aus verschiedenen Gründen für das Vagabundenleben. Er sagt, ihm gefalle sein jetziger Zustand: Mülltrennung — die ihm Freude macht — und Zeit zum Lesen. In den kursierenden Clips bleibt er vor der Kamera gelassen, ist geistreich und formuliert flüssig; vielleicht ist das die Kraft, die Bücher ihm gaben.

Um die Dynastie zu festigen und Militärputsche zu verhindern, verfasste der Song‑Kaiser Zhenzong einst ein „Loblied aufs Lernen“, das Gelehrte über Jahrhunderte berauschte:

Du brauchst keine reichen Felder zu kaufen — in Büchern liegen tausend Scheffel Korn.

Du brauchst kein hohes Haus zu bauen — in Büchern steht ein Haus aus Gold.

Klag nicht, dass dich keiner begleitet — in Büchern warten Wagen und Pferde in Scharen.

Klag nicht über fehlende Heiratsvermittler — in Büchern gibt es eine Schöne wie aus Jade.

Wer seinen Lebenswunsch erfüllen will, soll fleißig die Fünf Klassiker studieren.

Herr Shen jedoch sucht im Lesen etwas anderes:

Nicht nach den Siegeln der sechs Reiche trachte ich; lieber bebaue ich zwei qing Land.

Auf dem Feld lesen, Yao und Shun bewundern — und sitzend die Zeit des Weltfriedens erwarten.

Unsere Gesellschaft ist seltsam: Die offene Jagd nach Geld und Ehren bleibt ohne Tadel — im Gegenteil, alle eilen ihr zu. Wer jedoch liest wie Herr Shen, wird suspendiert und landet auf der Straße. Liegt das Problem bei Herrn Shen oder in unserer Gesellschaft?

Zum Glück hat er Bücher als Gefährten. Als Beamter verschwand er aus dem Blickfeld von Verwandten und Freunden, nur um als „gelehrtester Vagabund“ wieder vor der Öffentlichkeit zu erscheinen. Mir wäre lieb, wenn Plattformen wie Youku oder Ximalaya ihn zu Live‑Gesprächen einlüden, damit wir seinen Gedanken wirklich zuhören — um das Wesen des Lebens zu spüren und zu lernen, wie man als sein wahres Selbst lebt.

Veröffentlicht am: 23. März 2019 · Geändert am: 11. Dez. 2025

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